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Zeichen setzen für eine gerechte Welt

Sabato, 20 agosto, 2016
FTT Team
Sabato, 20 agosto, 2016
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Bernpunkt, Magazin für Stadt und Region Bern

Bern möchte Fair-Trade-Stadt werden. Eine städtische Arbeitsgruppe unter der Leitung von Katharina Stampfli vom Wirtschaftsraum Bern ist momentan daran, die notwendigen Schritte einzuleiten und umzusetzen.

Wieso sollte irgendjemand Garstang kennen, einen kleinen, pittoresken Ort mit kaum mehr als 4000 Einwohnern in der Grafschaft Lancashire im Norden Englands? Dass hier schon vor rund 700 Jahren Märkte abgehalten wurden, ist für Berner bestimmt von zweitrangiger Bedeutung, ebenso dass das Städtchen bei Kriegen zwischen Schotten und Engländern mehrmals zerstört wurde. Und doch bahnt sich in der Bundesstadt etwas an, was in diesem weit entfernten Ort seinen Anfang genommen hat: Im Jahr 2000 gründeten Leute, die dem Hilfswerkverbund Oxfam nahestehen, in Garstang die Kampagne Fair Trade Town. Diese Idee ist nun, 15 Jahre später, in der Schweiz und in Bern angekommen. Die Initiative zur Förderung von zertifizierten Waren aus fairem Handel war in England erfolgreich: Die dafür gegründete Stiftung formulierte einen Leitfaden für das Label und verlieh zwischen 2001 und 2006 insgesamt 209 britischen Städten und Ortschaften den Fair-Trade-Status. Im Oktober 2009 kamen weitere 760 Städte hinzu, davon 312 ausserhalb Grossbritanniens. Heute gibt es weltweit mehr als 1600 Fair-Trade-Städte in 26 Ländern.

ZWEISIMMEN ALS PIONIER
Erst vorletztes Jahr ist die Kampagne auch in der Schweiz angelaufen. Eine Pionierrolle spielte dabei Zweisimmen im Berner Oberland: Es wurde im vergangenen April nach Glarus Nord zweite Fair Trade Town der Schweiz. Die Initiative hatte der lokale «claro»-Weltladen ergriffen. Nachdem der Gemeinderat im Herbst 2015 den notwendigen politischen Entschluss gefasst hatte, arbeiteten «claro»-Mitarbeiterin Ursula Spycher und Gemeinderätin Claudia Gautschi (SP) Hand in Hand, um die fünf erforderlichen Kriterien zu erfüllen. Ihre Arbeitsgruppe leistete intensive Überzeugungsarbeit bei der Bevölkerung, bei Institutionen und lokalen Unternehmen. Inzwischen haben sich in Zweisimmen schon 15 Betriebe der Kampagne angeschlossen. Die Mitarbeitenden der Verwaltung konsumieren in ihrer Pause Kaffee und Snacks aus fairem Handel. Die Schule, Alterszentren, Vereine, Kirchgemeinden, einige Restaurants und Geschäfte haben ihr Angebot an Fair-Trade-Produkten erweitert. Die Gemeinde nennt als Beispiele einen Schreinerbetrieb, eine Zahnärztin oder den Frauenverein, bei denen Kaffee aus fairem Handel offeriert wird. Gemeindepräsident Ueli Zeller (SVP) freut sich, dass Zweisimmen mit seinen rund 3000 Einwohnern «als eine der ersten Gemeinden der Schweiz dabei ist. Fairer Handel ist seit vielen Jahren ein Thema in Zweisimmen und war mit ein Grund, dass hier vor mehr als 25 Jahren ein ‹claro›-Weltladen gegründet wurde.»

BERN MACHT MIT
Im Sommer 2015 trat Swiss Fair Trade, der Dachverband der Fair-Trade-Organisationen der Schweiz, auch an die Stadt Bern heran. Für den Gemeinderat war relativ rasch klar, dass Bern mitmachen wollte, um sich «als Vorbild für andere Schweizer Städte zu positionieren», wie es in einer Mitteilung des Gemeinderates
heisst. Das Label passe zur Strategie 2020 des Gemeinderates mit der «Vision einer wachsenden, kreativen, ökologischen, weltoffenen und sozialen Stadt». Zudem «bekennt sich der Gemeinderat zum fairen Handel», um «ein Zeichen für eine gerechte Welt zu setzen».

«Vision einer wachsenden, kreativen, ökologischen, weltoffenen und sozialen Stadt.»

Damit Bern als Fair Trade Town ausgezeichnet wird, muss die Stadt fünf Kriterien erfüllen. Die Stadtregierung muss sich zum Mitwirken bekennen und für die Koordination der Massnahmen eine Arbeitsgruppe einsetzen. Weiter muss eine gewisse Anzahl von Betrieben in der Stadt Bern Fair-Trade-Produkte
anbieten, und Institutionen und Unternehmen müssen solche Produkte verwenden. Und schliesslich muss die Stadt Überzeugungs- und Öffentlichkeitsarbeit leisten.

DREI VON FÜNF KRITERIEN ERFÜLLT
Mit dem gemeinderätlichen Beschluss war das erste der fünf Aufnahmekriterien bereits abgehakt. Dem zweiten entsprach die Stadtregierung, indem sie eine Arbeitsgruppe einsetzte. Sie wird von Katharina Stampfli geleitet, die im Wirtschaftsraum Bern (dem städtischen Wirtschaftsamt) für Wirtschaftspolitik zuständig ist. Auch das dritte Kriterium ist erfüllt: Schon mehr als ein Dutzend Detailhandelsläden machen mit: vom LoLa Lorraineladen über den Wylereggladen, vatter Royal oder Nordring Fair Fashion bis zum Hallerladen in der Länggasse. «Unser Ziel wäre es, auch die Grossverteiler Migros und Coop in Bern an Bord zu holen», meint Stampfli dazu. Zudem bieten mehr als 20 Betriebe der Gastronomie und Hotellerie Fair-Trade-Lebensmittel und -Getränke an, unter anderem viele Lokale, die von den ZFV-Unternehmungen und der SV Group geführt werden, aber auch Häuser wie Ibis, Novotel und die Sorell-Hotels Arabelle und Ador. «Wir arbeiten daran, die Zahl der Betriebe, welche ethische Ansprüche an ihr eigenes Handeln stellen, weiter zu erhöhen», hält Katharina Stampfli fest. Die Arbeitsgruppe unter ihrer Leitung bemüht sich nun um die noch zu erledigenden Aspekte. «Wir arbeiten zurzeit am vierten Kriterium. Zu diesem Zweck sprechen wir Schulen, Kitas, Pflegeinstitutionen, Vereine sowie Unternehmen an und ermuntern sie dazu, bei der Kampagne mitzumachen», erklärt Stampfli. Gezwungen wird niemand: «Wir informieren und versuchen, das Bewusstsein für die Problematik Nord-Süd-Handel zu wecken. In der Stadtverwaltung selber laufen Abklärungen. Denkbar ist zum Beispiel der Einsatz von Fair-Trade-Produkten in den städtischen Cafeterien, bei der Sanitätspolizei oder der Feuerwehr. Kaffee, Schokolade oder Früchte aus fairem Handel könnten das bestehende Angebot sinnvoll ergänzen.»

«Wir arbeiten daran, die Zahl der Betriebe, welche ethische Ansprüche an ihr eigenes Handeln stellen, weiter zu erhöhen.»
Katharina Stampfli, Wirtschaftsamt Stadt Bern

Das fünfte Kriterium ist die Öffentlichkeitsarbeit: «Wir wollen die vielfältigen Fair-Trade-Aktivitäten stadtweit bekannt machen und vernetzen.» Neben Beiträgen in den Medien ist noch dieses Jahr ein Fair-Trade-Markt in der Lorraine geplant. «Auch die Quartierorganisationen in der Altstadt überlegen sich Aktivitäten», sagt Katharina Stampfli, die durch eine Standaktion am 13. Mai auf dem Kornhausplatz ermutigt worden ist: «Obwohl es an jenem Tag geregnet hat, war das Interesse an unseren Informationen gross.» Illusionen gibt sie sich allerdings nicht hin: «Mit Fair Trade allein retten wir die Welt nicht.» Einen wertvollen Beitrag dazu könne hingegen jede und jeder leisten: «Wer Produkte aus fairem Handel konsumiert, ermöglicht Arbeiterinnen und Arbeitern in den Herkunftsländern ein existenzsicherndes Einkommen und damit eine menschenwürdige Existenz. Mit unserem Verhalten können wir dazu beitragen, dass sich auch in Entwicklungsländern jene partnerschaftlichen, stabilen und langfristigen Handelsbeziehungen sowie soziale, zwangsfreie und nicht diskriminierende Arbeitsbedingungen etablieren, die in der Schweiz selbstverständlich sind.»

KOSTEN UND NUTZEN
Mit dem Projekt Fair-Trade-Stadt erhalte Bern «ein weiteres Argument bei der Standortpromotion», ist der Gemeinderat überzeugt, und zwar zu geringen Kosten: Der Jahresbeitrag an die Kampagne richtet sich nach der Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner; für Bern bedeutet das eine jährliche Zahlung von 2500 Franken. «Man gibt sicher mehr Geld für Dümmeres aus», meint Katharina Stampfli augenzwinkernd. Dazu komme der eher bescheidene zeitliche Aufwand der Arbeitsgruppe. Das Engagement der Betriebe und Geschäfte, die mitmachen, muss übrigens nicht selbstlos sein: «Fair-Trade-Produkte liegen im Trend», ist Stampfli überzeugt; «dieses Standbein könnte also für Berner Unternehmen durchaus zum Erfolgsfaktor werden.»

SO WIRD MAN F AIR TRADE TOWN
Die Auszeichnung «Fair-Trade-Stadt» ist eine Kampagne von Swiss Fair Trade, dem Dachverband der Organisationen für fairen Handel in der Schweiz. Diesem gehören Hilfswerke wie Heks, Helvetas, Fastenopfer und Brot für alle an, die entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisation Erklärung von Bern, die sich soeben in Public Eye umgetauft hat, sowie diverse Firmen und Institutionen, die fairen Handel betreiben, etwa die Max Havelaar-Stiftung.

Um Fair Trade Town zu werden, muss ein Ort laut Swiss Fair Trade folgende fünf Kriterien erfüllen:
• Die Stadt oder Gemeinde bekennt sich zum fairen Handel.
• Eine Arbeitsgruppe koordiniert das Fair-Trade-Engagement.
• Detailhandel, Gastronomie und Hotellerie bieten Fair-Trade-Produkte an.
• Institutionen und Unternehmen verwenden Fair-Trade-Produkte.
• Durch Öffentlichkeitsarbeit wird der faire Handel der Bevölkerung nähergebracht.

Bern erfüllt die ersten drei Kriterien bereits, das vierte und fünfte sind in Bearbeitung, sodass das Beitrittsgesuch spätestens Anfang 2017 gestellt werden kann.
 

Von Artur K. Vogel